Ein Auszug aus dem Buch „ADS im Job Wie Sie ADS für sich arbeiten lassen können“ von Lynn Weiss Brendow Verlag München ISBN 3870679948
Die Neurowissenschaften haben uns in letzter Zeit gezeigt, dass ADS ein ganz bestimmter „Flavour“ oder „Stil“ der Organisation des Gehirns ist, der mehr zu Kreativität und gleichzeitigen Prozessen auf mehreren Ebenen als zu linearem, detailorientiertem Denken neigt.
Die Wurzeln des ADS liegen in der Biologie und der Neurologie; es ist ein genetisches Merkmal, das ein Mensch von einem oder beiden Elternteil erbt, ähnlich wie die Haarfarbe oder eine künstlerische Begabung. Ob ein Mensch ADS hat oder nicht, hat er ebensowenig in der Hand, wie seine Körpergröße oder Augenfarbe.
Die Art, wie ADS von der Gesellschaft beschrieben und aufgefasst wurde, hat sich im Laufe der Zeit stark verändert. Vor Jahrhunderten legte man noch nicht so viel Wert darauf, dass Leute sich an stark strukturierte Umgebungen anpassten, sodass Menschen mit ADS von Natur aus mehr Möglichkeiten hatten, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden – sogar einen Ehrenplatz, an dem ihre Fähigkeiten hoch geschätzt wurden.
Je mehr sich die Zivilisation in einer technischen Richtung entwickelte, desto größer wurden die Möglichkeiten für Leute mit weniger ADS-Mustern und stärker ausgeprägtem linearem Denken, Macht und Kontrolle zu gewinnen. Systeme entwickelten sich, überall blühte die Organisation, und die Notwendigkeit, genau auf Details und kleinste Informationen zu achten, gewann die Oberhand.
Bildungssysteme traten an die Stelle von Bildungsmöglichkeiten und praktischen Meister-Lehrlings-Verhältnissen, sodass es immer wichtiger wurde, etwas ÜBER die die Dinge zu lernen, statt zu lernen, indem man dieses Dinge TAT! Diese Herangehensweise begünstigte lineares Denken zwischen Leuten mit stärkeren ADS-Zügen und solchen, deren Gehirne stärker detailorientiert „verdrahtet“ warten. Mit der Zeit tat sich eine immer breitere Kluft auf!
Bald wurden diese Unterschiede mit Werturteilen belegt – gefällt von jenen, die dieses System schufen; die in dieses System passten und jeden der anders war, als FALSCH klassifizierten. Anfangs hängte man Leuten, die nicht in der Lage waren, sich so gezügelt und fokussiert zu verhalten wie die Schöpfer der Systeme, negative moralische Etiketten an: faul, gleichgültig oder schlecht!
Im Zuge unseres fortschreitenden Verständnisses für das menschliche Verhalten wurden diese Etiketten durch einen medizinischen Klassifizierungs-Prozess abgelöst. Diejenigen, die anders waren, bekamen ein Etikett angehängt, dass auf eine STÖRUNG hinwies. Es war nicht ihre Schuld, sagten die Wissenschaftler.
Sie verhielten sich nicht absichtlich faul oder gleichgültig; sie litten an einem „Syndrom„. So entstand der Begriff „AUFMERKSAMKEITS-DEFIZIT-SYNDROM„. In den psychiatrischen Veröffentlichungen der letzten Zeit ist bei ADS im Zusammenhang mit Erwachsenen sehr häufig von „Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom“ (ADHS) die Rede, womit zusätzlich gesagt werden kann, dass das ADS von Hyperaktivität und Impulsivität begleitet ist.
Doch zwischen dem aus klinischer Erfahrung gewonnen Verständnis einer „Erkrankung“ und seiner Veröffentlichung in der Fachliteratur besteht immer ein gewisser zeitlicher Abstand. Die Begriffe werden sich auch künftig weiter entwickeln, je besser wir ADS verstehen lernen.
Je mehr ich über ADS erfahren habe – sowohl durch meine Recherchen in der wissenschaftlichen Literatur als auch durch die Arbeit mit meinen eigenen Kunden – desto mehr sehe ich es als eine alternative, völlig natürliche „Verdrahtung“ des Gehirns.
Infolgedessen glaube ich, dass das richtige Modell für ADS eine kontinuierliche Skala ist – eine Skala des menschlichen Verhaltens mit ausgeprägten ADS-Zügen am einen Ende und wenigen oder gar keinen am anderen Ende. Ich erkenne keinen bestimmten Punkt auf dieser Skala, ab dem eine Person PLÖTZLICH ADS hat!
Stattdessen beobachte ich, dass manche Menschen mehr, andere weniger ADS-Züge haben, wodurch es für den Einzelnen entweder schwerer oder leichter wird, bestimmte Aufgaben zu bewältigen oder bestimmte Arten von Leistungen zu erbringen – deswegen auch die nach meiner Ansicht vielen MISCH-TYPEN!!!
ADS erzeugt Stärken und Schwächen in Bezug auf die Bereiche, in den eine Person fungiert, und die Erwartungen, die an diese Person gerichtet werden. Aus dieser Sicht gibt es keinen Raum für den Begriff „Normal“ und eben sowenig dafür, ein hohes Maß an ADS-Zügen als eine STÖRUNG zu klassifizieren.
Betrachten wir es einmal so:
Angenommen wir nähmen eine Gruppe von Leuten und stellten sie nach ihrer Augenfarbe in einer Reihe auf, angefangen vom dunkelsten Braun oder Schwarz bis zum hellsten Blau.
Wenn wir dann unsere Blicke über diese Gruppe schweifen lassen, akzeptieren wir die Tatsache, dass bei manchen Leuten braune Augen natürlich sind, während bei anderen grüne oder blaue Augen natürlich sind. Wir kämen nicht auf die Idee zu sagen, Leute mit braunen Augen seien normal und Leute mit blauen Augen hätten eine „Augenfarbenstörung„
Genau das tun wir jedoch, wenn wir sagen, dass Leute mit einem niedrigen Maß an ADS-Zügen normal seien, während solche, die diese Züge in hohem Maß haben, eine Störung hätten. Denken wir daran, dass manche Leute haselnussfarbene Augen haben, so wie Leute auch manche ADS-Züge und manche Nicht-ADS-Züge haben können.
Obwohl ich mit der Einstufung des ADS als „STÖRUNG“ oder „SYNDROM“ NICHT übereinstimme, werde ich in diesem Buch weiterhin den Begriff ADS verwenden, da er mittlerweile so weit verbreitet ist. Doch ich glaube nicht daran, dass ADS etwas ist, was man HAT wie ein Virus oder wie eine Krankheit!
Ich glaube, ADS ist etwas, was man IST, so wie man sportlich, musikalisch oder hoch gewachsen IST. Daher werde ich in diesem Buch den Ausdruck ADS HABEN verwenden, weil das der ÜBLICHE GEBRAUCH ist, doch hin und wieder werden sie auch ADS SEIN lesen, da dies meiner tiefsten Überzeugung entspricht.
ENDE DES ZITATS
ADS im Job“ von Lynn Weiss Brendow Verlag München ISBN 978-3-87067-944-1